Bestandschutz im portugiesischen Baurecht: Was gilt für bestehende Gebäude?
- Marlene Sennewald Sippel

- 5. Dez.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen
Historische Entwicklung der Bauvorschriften in Portugal
Die Regeln im Bereich Raumordnung und Städtebau haben sich im Laufe der Jahre entwickelt. Mit dem Decreto-lei Nr. 38382 vom 7. August 1951 (welcher das Regulamento Geral das Edificações Urbanas einführte) wurde erstmals die Pflicht zur Einholung einer Baugenehmigung eingeführt – zunächst nur für städtische Gebiete, bestimmte Schutzzonen, die für die Kreissitze festgelegt waren, für alle übrigen Ortschaften, die gesetzlich einem Urbanisierungs- und Erweiterungsplan unterlagen, sowie für Gebäude mit industriellem Charakter oder zur kollektiven Nutzung.
In den folgenden Jahrzehnten erweiterten die Gemeinden diese Pflicht auf weitere Gebiete. Ab 1991 wurde sie durch das Decreto-lei Nr. 445/91 landesweit für alle Neubauten, sowie Wiederaufbau, Vergrößerung, Veränderung, Reparatur und Abriss von Gebäuden und für Maßnahmen, die eine Umgestaltung des Geländeverlaufs bewirken, verbindlich.
Parallel dazu entstanden neue Schutzinstrumente, die das Bauen in bestimmten Bereichen begrenzten, zB:
Reserva Agrícola Nacional (RAN) – schützt landwirtschaftlich wertvolle Böden
Reserva Ecológica Nacional (REN) – bewahrt ökologisch wertvolle/sensible Flächen
Einrichtung von Naturschutzgebieten
Klassifizierung von Monumenten und entsprechende Schutzgebiete
Dazu kamen zunehmende Regulierung hinsichtlich Brandschutzes, Barrierefreiheit und öffentliche Nutzung.
Diese Entwicklungen führten zu einem wachsend dichteren und komplexeren Regelwerk, das bestimmt, wo und wie gebaut werden darf.

Was bedeutet Bestandschutz?
Der Bestandschutz ist ein zentraler Grundsatz im portugiesischen Baurecht. Er besagt, dass neue gesetzliche Vorschriften grundsätzlich nur für zukünftige Bauvorhaben gelten. Gebäude, die rechtmäßig nach dem zu einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Recht errichtet wurden, sind von Vorschriften, die später in Kraft treten, grundsätzlich nicht betroffen.
Dieser Grundsatz ist im Artikel 60, Ab. 1 des Decreto-lei Nr. 555/99 vom 16. Dezember (Regime Jurídico da Urbanização e Edificação – RJUE) verankert:
„Gebäude, die nach dem bisherigen Recht errichtet wurden, und deren jeweilige Nutzung sind von nachträglich erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht betroffen.“
Der Bestandschutz schützt bestehende Rechtspositionen und schafft Rechtssicherheit sowie Vertrauensschutz für Eigentümer und Investoren.
Welche Gebäude genießen Bestandschutz?
Ein Gebäude genießt Bestandschutz nur, wenn es:
1) legal errichtet wurde – es muss nach den Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt des Baus galten, errichtet worden sein. War eine Baugenehmigung erforderlich, so muss diese eingeholt und der Bau im Einklang mit dieser ausgeführt worden sein.
2) baulich erhalten ist – es darf nicht so stark verfallen sein, dass seine Struktur und Nutzung nicht mehr erkennbar sind.
Für Gebäude, die erbaut wurden bevor eine Baugenehmigung erforderlich wurde, kann –insofern dieses Gebäude, wie oben beschrieben, noch erhalten ist – bei der Gemeinde eine Bescheinigung über den Bestandschutz beantragt werden.

Wiederaufbau und bauliche Änderungen
Genießt ein Gebäude Bestandsschutz, so sind der Wiederaufbau oder bauliche Änderungen erlaubt, sofern:
keine neue oder verschärfte Abweichung von geltenden Vorschriften entsteht,
oder die Maßnahmen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen verbessern.
Dabei sind folgende Definitionen zu beachten:
Wiederaufbau: Bauarbeiten nach vollständigem oder teilweisem Abriss eines bestehenden Gebäudes, die zur Wiederherstellung der Fassadenstruktur führen. Umstritten ist, wie viele und in welchem Ausmaß die Außenwände rekonstruiert werden müssen – die Auslegung variiert je nach Gemeinde.
Veränderung: Bauarbeiten, die physische Eigenschaften eines Gebäudes oder Gebäudeteils verändern – etwa die tragende Struktur, die Anzahl der Wohneinheiten oder Innenräume, die Art oder Farbe der Außenverkleidung – ohne dass sich Grundfläche, Gesamtfläche oder Fassadenhöhe vergrößern.
Eine Vergrößerung – sprich, Bauarbeiten, die zu einer Erweiterung der Grundfläche, der Gesamtbaufläche, der Fassadenhöhe oder des Volumens eines bestehenden Gebäudes führen – ist nicht automatisch zulässig, da sie meist zu einer stärkeren Abweichung von den (neuen) geltenden Vorschriften führt.
Allerdings können Gemeinden in ihren Plano Diretor Municipal (PDM) bestimmte Erweiterungen ausdrücklich erlauben.
Nutzung und ergänzende Anforderungen
Das Gesetz kann:
besondere Bedingungen für die Ausführung bestimmter Tätigkeiten festlegen – auch in Gebäuden, die bereits nach früherem Recht für diese Zwecke genutzt wurden;
die Durchführung ergänzender Arbeiten verlangen, die zur Verbesserung der Sicherheits- und Hygienebedingungen des Gebäudes erforderlich sind.
Fazit: Bestandschutz als Balance zwischen Rechtssicherheit und Entwicklung
Der Bestandschutz ist das Ergebnis der Suche des Gesetzgebers nach einer gerechten Balance zwischen dem Schutz bestehender Gebäude und der ausgewogenen Weiterentwicklung des Städtebaurechts und der Raumordnung. Eigentümer profitieren von Rechtssicherheit, während gleichzeitig die bauliche Qualität und Sicherheit verbessert werden kann und die Werte, der die Raumordnung gewidmet ist, angemessen geschützt werden können.
Marlene Sennewald Sippel / Carolina Costa



